Franz und Lili

Original von:
Chris

Franz war ein guter Bekannter meines Grossvaters, nach dem Krieg lernten sie sich kennen, sie wurden Freunde. Lili war eine alte Weimaranerhündin, in ihrer Ausstrahlung glich sie einer Dame, ihren Namen verdankte sie jedenfalls einer, nämlich Lili Marleen.

Es war im Sommer des Jahres 98. Ich war eingeladen bei Franz, er war oft allein, seine Frau war schon 11 Jahre tot, er lebte nur mit seiner Hündin alleine in einem grossen, alten Haus, so lud er öfters ein paar Freunde und Bekannte ein, um ein wenig reden zu können, denn er selber war nicht mehr so gut zu Fuss. Nach dem Tode meines Grossvaters wurde ich in diese Runde aufgenommen, ich war dessen nicht abgeneigt, denn wenn einige hundert Jahre Lebeserfahrung an einem Tisch sitzen und man einfach zuhören kann, ohne zum Gespräch gedrängt zu werden, kann man einiges lernen. Es war wieder einer dieser Sonntage, er rief mich an und lud mich zum Kaffee. Diesmal aber war niemand weiter da, ich war überrascht, kam ich doch schon 10 Minuten zu spät. Es musste etwas ernstes sein, über das er nur mit mir allein reden wollte. Lange sassen wir da, ohne zu sprechen, tranken Kaffeee, assen Kuchen. Es herrschte eine bedrückende Stimmung im Raum. Dann fing er an:

" Wir beide sind alt geworden, es wird nicht mehr lange dauern, dann ist´s soweit..."

" Wie meinst du ?"

" Wie´s mit mir steht, das siehst du ja, aber mit Lili geht es ständig abwärts..."

" Ist sie krank, warst du schon beim Tierarzt ?

" Herrgott, sie ist halt nun schon 12 Jahr´ alt, was soll ihr ein Tierarzt da helfen können ?"

" Wir wollen mal nach ihr sehen, wo ist sie denn gerade ?"

" Sie liegt unten im Garten auf ihrem Stück Rasen. "

Wir gingen hinunter, um nach ihr zu sehen, sie lag da, wahrscheinlich schlief sie. Aber als wir näher kamen, hob sie den Kopf und fing an zu winseln. Ich hatte meine junge Hündin mitgenommen, und als sie das Winseln hörte, lief sie vor, begrüsste Lili sehr vorsichtig und leckte ihr Gesicht, ihren Hals. Dann legte sie sich neben sie und winselte auch. Ich hatte dieses Verhalten noch nie gesehen, so blieb ich erstaunt stehen.

" Deine Sasha weiss genau, wie es um sie steht..." sagte er, und Tränen stiegen ihm in die Augen. Mir war zum Heulen zumute, ich setzte mich auf die Bank und lehnte meinen Kopf an´s Haus, blickte in den blauen Himmel. Auch Franz setzte sich.

" Ich hatte gedacht, ich wär früher dran als sie mit sterben, aber es soll wohl nicht so sein, wie soll´s denn weitergehen, wenn sie tot ist, dann habe ich auch keinen Lebensmut mehr, sie hat mir über den Tod meiner Frau geholfen, aber wenn ich jetzt alleine bin, nein, dann geht´s nicht mehr, dann will ich nicht mehr..."

Ich sah in sehr erstaunt an, so hoffnungslos, so niedergeschlagen hatte ich ihn noch nie gesehen.

" Warum wolltest du mich alleine sprechen ?"

" Ich weiss, dass du deine Hunde besonders liebst, dein Grossvater hatte mir erzählt, wie du um Wolff getrauert hast, wie du Pollux gepflegt hattest, nachdem er angefahren wurde, und alle ihn schon aufgegeben hatten, obwohl er dann doch eingeschläfert werden musste, und besonders um deinen Castor, ich behaupte, du hast ihn mehr geliebt, als du eine Frau je lieben könntest..."

Ich sprang entsetzt auf, was sollte das jetzt bedeuten, wusste er es, ahnte er etwas, redete man schon im Ort darüber ? Ich stand sprachlos und entsetzt da.

" Setz dich wieder hin, ich kann mir denken, was du jetzt denkst, aber ich weiss es nicht genau, ich ahne es nur; und denk man´ nicht, dass es so etwas erst seit gestern gibt, das gibt es schon viel länger... Ich würde das auch niemals weitererzählen, ich kenn´ die Menschen schon ein wenig länger... "

" Hast du dich früher auch mal mehr zu Tieren als zu Menschen hingezogen gefühlt ? "

" Ich denke schon, aber dann habe ich meine Frau kennengelernt, aber zu Tieren, besonders Hunden, habe ich mich schon immer hingezogen gefühlt. "

" Hattest du mal mit einem deiner Hunde... ?"

" Nein, das habe ich mich nie getraut, ich hätte schon gewollt, aber die Angst davor, dabei erwischt zu werden, und dann die schweren Zeiten..."

" Warum schwere Zeiten ?"

" Im Krieg gab es mal einen Fall, da wurde bei uns hier ein Bauer erwischt, wie er es mit einem jungen Schwein trieb, jemand hatte das beobachtet und zur Anzeige gebracht, 3 Tage später wurde er abgeholt... Ich war ja schon verheiratet und wir erwarteten unser erstes Kind, da hätte ich mir das nie getraut.... Hast du eigentlich...?"

" Ja...."

Ein langes Schweigen kam über uns. Später bat er mich, ihm etwas darüber zu erzählen, wir redeten sehr lange darüber, er erlebte quasi das mit, was ich ihm berichtete, die grosse Liebe, das Vertrauen, die Zuneigung...

Sehnsuchtsvoll blickte er auf die beiden Hunde, welche sich kaum von der Stelle bewegt hatten.

" Jetzt hab´ ich schon so lange gelebt, aber jetzt sehe ich, dass ich nicht richtig gelebt habe, dass mir so viel entgangen ist, dass ich so viel unterdrückt habe..."

Es wurde ein langer Abend, wir redeten bis in die tiefe Nacht hinein. Wir sprachen über mich, über ihn, unsere Gefühle...

Eine Woche später rief er mich an, seine Stimme klang verheult, er sprach nur in Wortfetzen. Ich fuhr zu ihm hin. Er sass draussen im Garten mit seiner Lili auf dem Rasen, sie lag fast regungslos da, ihr Atem ging sehr schwach und schwer. Er sagte, dies ging nun schon 3 Tage lang so, er konnte es nicht mehr aushalten, sie so leiden zu sehen.

" Fährst du uns zum Tierarzt ? "

" Ja, kein Problem, wird besser sein..."

Ich nahm sie ganz vorsichtig auf meine Arme, ging zum Auto, Franz öffnete die Klappe und ich legte sie vorsichtig hinein, da fing sie an, laut zu winseln. Wusste sie, wo wir jetzt hinfuhren, ahnte sie etwas ? Da sprang meine Sasha mit hinein, und sofort hörte Lili auf zu klagen...

Wir standen beide bei ihr, bis es vorbei war. Ein letztes mal hob sie ihren Kopf, dann sank er hinab... Franz vergrub sein Gesicht in ihrem Körper, er wollte nicht mehr loslassen. Ich nahm eine Decke, legte sie darauf, wickelte sie sehr vorsichtig ein und ging mit Franz hinaus, er lief wie automatisiert, in seinen Augen sah ich nur eine grosse Leere...

Als wir zum Auto kamen, wartete dort Sasha, sie lief aufgeregt hin und her, sie bellte laut, sie ahnte es wohl...

Franz musste sie zurückhalten, er konnte sie kaum halten, als ich die eingewickelte Lili in den Wagen legte, ich liess Sasha an der Leine, sie sprang hinten in den Wagen, schnüffelte an der Decke, wollte sie auswickeln... Ich hielt sie zurück, ich musste sie mit Gewalt wegdrücken...

Wir gingen spazieren, der Park war nicht weit entfernt. Lange sassen wir auf einer Bank, wir sprachen nicht, Sasha lag zu unseren Füssen, wir alle trauerten, Franz fixierte seinen Blick nur auf eine Stelle, ich sah in den Himmel, sah den Wolken zu, bis mir die Tränen kamen...

Wir begruben sie am Nachmittag, direkt dort, wo sie zuletzt gelegen hatte, Franz wollte es so, ich tat es für ihn, während er auf der Bank sass und weinte. Er verabschiedete sich von ihr, auch ich streichelte sie ein letztes mal, dann übergaben wir sie der Erde...

Lange kniete Franz neben dem Grab, seine Hand kraulte Sasha, welche neben ihm lag, er heulte sich die Seele aus dem Leibe, und nach kurzer Zeit stimmte Sasha mit ein, es klang herzzerreissend...

In der darauffolgenden Woche war Franz oft bei mir und Sasha, wir unterhielten uns über alles mögliche, ich sah wieder etwas Freude in seinen Augen, wenn er mit Sasha spielte und mit ihr zusammen war. Wir planten sogar, für ihn wieder einen Hund zu holen, aber er wollte noch warten, bis er über den Verlust von Lili hinweg war...

2 Wochen nach dem Tod von Lili bekam ich Nachricht, dass Franz gestorben war, mit einem Bild von seiner Lili in der Hand...

Zur Erinnerung an Franz, einem wahren Freund und seiner Weimaranerhündin Lili.