Stell Dir Vor...

kurze, fiktive Auszüge aus dem Leben eines Zoos

 

Es fühlt sich falsch an...

Einen steilen Pfad erklimmend kehren wir zum Haus der Großmutter meines Freundes zurück. Wir haben einige Stunden entlang des steinigen Küstenwegs unterhalb des Hauses zugebracht. Es ist ein heißer Sommertag, eine starke Brise Salzgeruch liegt in der Luft, gedankenversunken rollt die Brandung an die Klippen unter uns. Als wir an einem Gatter in einer Hecke vorbeikommen, entdecke ich ein Pferd auf der Weide dahinter und sofort denke ich... "Wie kann ihn dazu bringen, hier für einen Moment anzuhalten?"

"Puuuh! Ist das steil! Wart mal ne' minute!"

Ich lehne mich an das Tor.

"Oh, guck mal, da steht ein Pferd auf der Weide." sage ich beiläuftig.

Mein Freund hält neben dem Gatter, ich lehne mich darüber, schaue zu dem Pferd hinüber und versuche seine Aufmerksamkeit zu erregen.

Er bemerkt uns und kommt herüber.

Der große, schäne Wallach tritt heran und beschnuppert uns.

Mein Freund scheint sich zu amüsieren... das ist gut... Ich werde vielleicht noch ein paar Sekunden hier bleiben kännen.

Das Pferd lehnt sich über den Zaun, legt den Kopf über meine Schulter und drückt mich an sich, vielleicht um in meinen Hosentaschen ein Leckerli aufzustäbern.

Ich lasse mich darauf ein und lege meine Arme um ihn, aber natürlich versuche ich dabei nicht so auszusehnen, als würde ich ihn -umarmen-... mehr so als würde ich einfach weitermachen... wahrscheinlich bin ich gestoßen worden... ja, genau.

Oh, ich spüre seinen warmen Nacken an meinem Gesicht, sein Geruch umgibt mich, seine Aura nimmt mich gefangen... das ist der Himmel für mich... aber ich -kann- es nicht zeigen.

Ich kichere, ja, ich kichere sogar, weil ich mir denke, daß das wohl eine halbwegs annehmbare Reaktion ist, die mein Freund erwartet. Während ich -in- mir alles andere als lachen kännte; mir ist mehr nach Heulen zumute.

Ich flüstere, ebenso leise flüstere ich:

"Ich liebe Dich, Bruder."

Und dann lache ich noch ein bißchen mehr, um die Situation aufzulockern... Ich kann einfach nicht einmal für einen Augenblick riskieren, mein Freund kännte denken, daß dieser kurze Moment mir wirklich etwas -bedeutet-.

Nein, ich kanns einfach nicht... weil es falsch ist... oder nicht?



-kalt- werden...

Die Mittagsnachrichten kommen im Fernsehen. Ich sitze hier mit meinen Eltern und häre mir das Gefasel an. Ich bin so um die 15.

"Und schließlich...", sagt der Nachrichtensprecher.

"Das berühmte Rennpferd, die Stute Triptych ist heute bei einem Unfall in einem Zuchtbetrieb in Frankreich ums Leben gekommen. Der Besitzer......."

Ich schließe meine Augen, halte den Atem an.

Ich habe sie geliebt... ich habe Triptych wirklich geliebt. Ich habe sie niemals getroffen, bin ihr noch nie in Fleisch und Blut gegenübergestanden, aber ich erinnere mich, vor langer Zeit, saß ich genau hier vor dem Rennen und das erste Mal als ich sie sah, fühlte ich mich... angezogen. Vielleicht mein erstes Zoo Gefühl, wer weiß.

Und jetzt... ist sie tot.

Ich äffne meine Augen und starre kalt auf die Mattscheibe.

Mein Herz ist voller Emotionen, aber ich -weiß- daß ich das nicht zeigen kann... weil ich nach einer Erklärung dafür gefragt werden würde... und die Gefühle die ich für sie habe, oder hatte, sind falsch.

Ich verberge es in mir, verschließe es, für immer...



Ich lebe Lügen...

Ich schreibe meine Gedanken nieder. Ich schreibe Gedichte, Prosa. Alle Gefühle die ich niemals zum Ausdruck bringen kann, stehen in einem vollgekritztelten Notizbuch.

Ich halte es versteckt.

Ich sammle Bilder von Pferden, Bücher, Figuren, Geschichten. Ich halte all das versteckt, weil ich niemandem erklären kann, weßhalb ich so fasziniert von ihnen bin.

Nach und nach habe ich mir Gründe, Erklärungen und Rechtfertigungen zurechtgelegt, warum ich mich mit den Bildern von Pferden umgeben kann.

Ich bin nicht interessiert an den Rennen, dem sogenannten 'Sport'. Aber ich lerne die Namen der Jockeys, der Rennbahnen, der Pferde und deren 'Besitzter'. Ich habe all diese Dinge gelernt und mir einen Haufen nutzlosen Wissen auf diesem Gebiet angeeignet, nur damit ich eine Rechtfertigung für die Pferdeposter in meinem Zimmer habe.

Mich interessieren die Schauspringen nicht. Aber ich kenne die Daten der alljährlichen Veranstaltungen, die Namen der Reiter, genügend Details um meine Freunde und Eltern davon zu überzeugen, daß ich ein aufrichtiges Interesse an diesem 'Sport' habe. Genügend Interesse, um mein Verlangen zu rechtfertigen, Pferde im Fernsehen zu betrachten, mich mit Bildern und Sprache, die von Pferden erzählen, zu umgeben.

Ich habe mit Rollenspielen angefangen, so daß ich für einige wenige Stunden jede Woche in einem Land der Fantasie existieren kann, in dem ich mit Pferden umgehen kann. Wo ich mich mit Pferen umgeben kann. Mäglicherweise überzeuge ich auch einem meiner Freunde, daß es eine interessante Aufgabe wäre, ein Rollenspiel in der Welt der Pferde zu versuchen. Ich spiele einen Teil des Pferdes und werde davon heimgesucht, träume jede Nacht von diesen Pferden meiner Fantasie, an die ich mich so sehr gebunden habe.

Ich lebe Lügen.
 


© Dobbin

November 1996