Gute Menschen

Eine fiktive Kurzgeschichte von Dobbin

28. November 1996



 

Ich sehe durch das schmale Fenster nach draußen, lange Schatten fallen über den Hof, ich beobachte die Schreiner, oh gute Schreiner, die freudig ihrer ehrwürdigen Aufgabe nachkommen.

Ohne Sorge oder Überlegung errichten sie den Pfahl, verschließen sie die Falltür. Gute Menschen, diese Schreiner sagt man mir, gewöhnliche Leute.

Ich lausche den flüsternden Stimmen der Soldaten, der Wachen, ihr zufriedenes, leeres Gerede hallt durch die Wand wider, obwohl ihre Worte zu gedämpft sind, um sie zu verstehen. Tapfere Wachen, edle Wachen, sagt man mir. Gute Menschen, die töten auf Befehl ihres Herren und Gebieters.

Gute Menschen scheint es. Die selben Soldaten die erst gestern, mit Seil und Streitaxt, meine Liebste mitten auf dem Dorfplatz erschlugen, obwohl sie nichts Böses getan hatte. Alles was sie gekannt hatte war Liebe.

Bald wird der Priester kommen. Oh Gott, sanfter Priester. Er wird mir die Erlösung versprechen, mich Buße tun lassen für meine Sünden, wo ich doch niemandem ein Leid zugefügt habe. Nur Liebe. Immer nur Liebe.

Ist diese Welt wirklich so feindselig? So finster? So ohne Erbarmen, daß niemand sieht, daß alles was ich getan habe, war zu lieben?

Ich krümme mich, als ich fühle, wie die Glasscherben meines kummervollen Herzens in meiner Brust aneinander reiben. Ich bin gebrochen, soviel ist sicher, und ich will nicht länger leben. Am Morgen an ihrem Galgen zu baumeln wird fast eine Erleichterung sein. Ich werde heute nacht sicher nicht schlafen, nicht aus Angst, aber wegen der entsetzlichen Todesschreie meiner Geliebten, die gierig nach meinem bloßen Verstand greifen.

Nur eines bereue ich, daß ich ein Schaustück sein werde, eine "Lektion", wenn man will. So ein grausames Schicksal, daß jetzt, wo ich alles verloren habe, allein dies mir noch etwas ausmacht, daß sonst niemand so fehlgeleitet ist.

Und so bleibt meine einzige Hoffnung dies: Ich schreibe diese Botschaft und verberge sie in einer Ritze, auf daß sie eines Tages gefunden werden möge, und die Menschen verstehen werden, welch ein barbarisches Zeitalter dieses war.

Ich betrachte die festen, steinernen Wände. Diese Festung ist so stark, und wird bestimmt noch viele Jahre stehen. Ich hoffe, daß eines Tages die Menschen wissen und verstehen werden, daß es niemals falsch ist zu lieben.

Ich stelle es mir sonderbar vor, wenn meine kleines Zettelchen eines Tages vielleicht von einem Historiker gelesen werden wird. Von einem Archäologen? Heh, in meiner zynischen Verfassung denke ich, wie meine Botschaft in einer fernen Zukunft gefunden wird, in einem aufgeklärten Zeitalter, das sich noch kein Mensch vorstellen kann. Einem Zeitalter, in dem Liebe in allen Erscheinungsformen akzeptiert sein wird, wenn Menschen meine Nachricht lesen und es ihnen unbegreiflich sein wird, wie grausam und gefühllos ihre Vorfahren einst waren. Möglicherweise sogar in einer solch fernen Zukunft wie dem zwanzigsten Jahrhundert, wo sicherlich alle Spuren der barbarischen Vergangenheit der Menschheit in Geschichte und Dichtung verbannt sein werden.

Ja, vielleicht sogar im zwanzigsten Jahrhundert, wenn die Menschen mit Ehrfurcht an die Schrecken von Haß und Heuchelei zurückschauen, die die Zivilisation in einem längst vergessenem Zeitalter einmal gekannt hat.

Ich bereite mich auf das Grab vor, und bete, daß meine Hoffnung nicht umsonst ist.
 
© Dobbin, 28. November 1996

Translated by Caballingus