Gekaufte Liebe

von Islaender – http://www.islandzoo.de.vu


Eigentlich widerstrebt mir ja der Pferdekauf. Sicher, Pferde muss man nun mal kaufen, wie jedes andere Haustier auch. Aber dennoch mag ich es nicht gerne. Tiere sind lebende Wesen, und lebende Wesen sollte man nicht behandeln wie eine Packung Taschentücher. Aber wer ein Pferd haben will, der muss eben zum Händler gehen, so ist das Leben.

Lange hatte ich gesucht, war bei vielen Händlern bereits gewesen. Immer auf der Suche nach dem einen Pferd, welches mich verzaubern würde. Nun stand ich vor dem Eingang zum Hof des siebten oder achten Anbieters. Seufzend starrte ich auf das Schild. „Ponyparadies“ stand da in gewollt ungelenken Lettern auf dem einfachen Holzschild. Ich habe noch nie einen abgedroscheneren und einfallslosen Namen gesehen, und allein das Schild hätte mich fast kehrtmachen lassen. Doch ich war nun bereits so lange auf der Suche, dass ich mir diese Chance einfach nicht entgehen lassen wollte. Also trat ich ein und steuerte auf das Verwaltungsgebäude zu, welches neben dem weitläufigen Offenstall lag. Währenddessen sah ich mich aufmerksam um.

Das Schild stimmte schon in gewisser Hinsicht. Das Gehöft lag an einem steinigen Hang mit einigen größeren Findlingen, so dass die Pferde nicht nur langweilige ebene Wiese hatten, sondern auch ein wenig abwechselungsreicheres Terrain. Der Hof selber lag an der Grenze eines kleinen Plateaus in einer sonst recht hügeligen Gegend, und war von einigen hohe Ulmen gesäumt, die sich rauschend im Wind bewegten. Ein alter, aber gut erhaltener Holzzaun umschloss Stallungen und das Verwaltungsgebäude, welches an ein mittelalterliches Gutshaus erinnerte. Mit seinen weißen Wänden, der Fachwerkstruktur und dem reetgedeckten Dach wirkte es einfach nur gemütlich. Der Stall war diesem Stil angepasst, aber neuer. Man erkannte es an den Balken des Fachwerkes, die einfach zu regelmäßig waren um „originales“ Fachwerk zu sein. Direkt an die Stallungen angeschlossen erstreckte sich eine große Weide, auf dem sich einige Pferde aufhielten. Zwei von ihnen jagten sich gerade quer durch das weitläufige Areal und verschwanden den Hang hinunter.

"Wäre ich ein Pferd, könnte es mir hier wirklich sehr gut gefallen" dachte ich bei mir, und trat in das kühle Halbdunkel hinter der grüngestrichenen Holztür des Hauses. Überall waren kleine Pferdefiguren, und ich gewahrte ein paar besonders schöne Gemälde, welche verschiedene Pferde in den verschiedensten Positionen zeigten. Ein steigender weißer Araberhengst, ein Rappe im gestreckten Galopp, eine grasende Schimmelstute mit ihrem Fohlen. So abschreckend das Schild über dem Eingang auch gewirkt hatte, ich konnte mich des Eindrucks nicht erwehren, dass man hier nicht mit, sondern für Pferde lebte. Ich wandte meinen Blick mit Mühe von dem Bild eines Friesen ab, der auf einer Hügelkuppe stand und mit gütigem, majestätischen Blick und windzerzauster Mähne auf den Betrachter hinuntersah. Ich hörte jemanden kommen, als ich auch schon die Stimme vernahm.

„Ein faszinierendes Bild, nicht wahr? Ich stehe ab und zu lange Zeit davor, und lass es einfach auf mich wirken.“ sagte die hinzugekommene Frau mit gesenkter Stimme. Sie war überraschend jung, Mitte zwanzig mochte ich schätzen, das braune Haar zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden und in geschmackvoller Kleidung. Mir fielen besonders ihre Armbänder auf, die sie an den Handgelenken trug. Es waren Hufeisen. Zwei zusammengebogene, filigran geschmiedete Hufeisen, von denen sich je eines am linken und eines am rechten Arm befand. Sie bemerkte meinen Blick, lächelte und hielt mir ihre Hand hin.

„Eine kleine Marotte von mir“ lächelte sie mich an. „Ich liebe Pferde eben, und möchte ihnen so nah sein wie es geht. Es klingt vielleicht ein wenig verrückt aber... ach, egal. Sie sind hier, weil sie ein Pferd möchten?“ Sie sagte nicht, dass ich es kaufen will. Sie sagte nur, dass ich ein Pferd möchte. Konnte es Zufall sein oder dachte sie ähnlich wie ich über den Verkauf von lebenden Wesen?

„Ja, ich suche schon seit langer Zeit. Wissen Sie, auch ich liebe Pferde, und habe mich nun entschlossen mein Leben einem von ihnen zu widmen. Aber bisher habe ich einfach noch nicht das Pferd gefunden, welches mein Herz im Sturm erobert.“

Ein verschmitztes Grinsen unterstrich ihre nächsten Worte. „Ich verstehe nur zu gut, glauben Sie mir. Ich kenne das Gefühl, dass ein Pferd mich ansieht und direkt in mein Herz zu galoppieren scheint. Und nenne sie mich bitte Claudia, ich fühle mich so schrecklich alt, wenn man ‚Sie‘ zu mir sagt.“

Ich stimmte in Ihr glockenhelles Lachen ein. „Okay, Claudia, dann nenn Du mich aber bitte Isi.“

Sie schaute überrascht. „Isi? Was ist das denn für ein Name?“

Verlegenheit machte sich in mir breit, und ich antwortete ein wenig kleinlaut „Nun, wissen Sie... weißt Du, ich habe seinerzeit mein Herz an Islandpferde verloren, und das hat mir den Spitznamen ‚Isi‘ eingebracht. Ich mag einfach den Klang des Namens und irgendwie finde ich ihn schöner, als meinen Eigenen.“

„Ich habe schon einmal von einem ‚Isi‘ oder ‚Islaender‘ gehört...“ meinte sie langsam und nachdenklich. Sie sah mich aufmerksam an. „Auf der Suche nach anderen pferdebegeisterten Leuten bin ich im Internet über eine Seite gestolpert, auf der eben jener Islaender über seine... Gefühle zu Pferden schreibt. Um nicht zu sagen: Seine Liebe. Es sind auch ein paar Geschichten dabei, glaube ich.“

Nackte Panik kochte in mir hoch. Das konnte doch nicht wahr sein! Von der Handvoll Leute die auf meine Seite schauten musste ausgerechnet SIE dazugehören? Jetzt bloß nichts anmerken lassen. Keine Angst haben, ganz ruhig bleiben. Ich räusperte mich kurz. „Da sieht man es mal wieder, kein Name ist einzigartig. Ich habe auf jeden Fall nichts mit ihm zu tun, außer vielleicht eben der Spitzname.“ Ich lachte unsicher und hoffte, dass sie es nicht bemerkte.

Blitzte da Enttäuschung in ihren Augen? Oder war es Misstrauen? Ahnte sie doch etwas?

„Nun, wie auch immer, gehen wir doch einfach mal zu den Pferden und schauen, ob Deine Suche endlich ein Ende hat.“ meinte sie. Der kritische Augenblick war vorüber. Sie nahm ihre Mappe und wir verließen durch eine Seitentür das Gebäude in Richtung Stall.

Als wir eintraten wurde der Geruch, der die ganze Zeit schon über dem Gehöft hing beinahe übermächtig. Eine Andeutung von Leder, eine Wolke aus frischem Heu und vor allem dem Geruch von Pferden schlug uns entgegen und ließ mich fast schwindeln. Wir standen in einem kleinen Vorraum mit einer Pinnwand, und während Claudia an der einen Seite der Pinnwand einige Eintragungen machte sah ich mir die andere Seite an, die offenbar von den Privatsachen der Pferdebesitzer und Reiter eingenommen wurde. Mein Blick schweifte über Fotos von Pferden und ihren Reitern. Manche mit Siegerschleifchen oder Pokal. Schließlich blieb mein Blick überrascht an einem Zettel hängen und ich atmete hörbar ein. Da hing tatsächlich ein Gedicht von mir.

HIER!

„Stimmt was nicht?“ erklang die leicht amüsierte Stimme von Claudia neben mir. Ich erschrak und drehte mich herum, ihr wissendes Lächeln behagte mir nicht wirklich.

„Ich war nur... überrascht dass jemand noch so denkt wie ich.“ Sie sah mich weiterhin lächelnd an und ich dreht mich schnell wieder zur Pinnwand. Verzweifelt suchte ich nach weiteren Worten. „Aber er ist sehr viel besser als ich, was den Umgang mit Worten angeht, meine Versuche scheiterten immer kläglich, wenn ich ein Gedicht verfassen wollte.“ Ich sah sie wieder an und versuchte zu grinsen. Ich brauchte keinen Spiegel um zu merken, dass das nicht sonderlich gut gelang.

„Nun, das ist eines der Sachen von dem ‚anderen‘ Isi. Es hat mir gefallen, also habe ich es ausgedruckt.“

„Ja, es ist sehr schön“ beeilte ich mich zu sagen. „Wollen wir nun nach den Pferden sehen?“

„Sicher doch, hier entlang bitte.“ Sagte sie mit einer einladenden Geste zu einer schlichten, dunkelbraunen Tür aus Holzbohlen.

„Die meisten der Islandpferde sind gerade draußen, aber wir können durch die Stallungen auf die Weide.“

Hinter der Tür lag ein heller, geräumiger Stall. Der Flur verlief an der einen Außenmauer, so dass sich zu der anderen eine große Halle erstreckte, die in einige wenige Abschnitte unterteilt war. Große Fenster im Dach ließen Licht und Luft herein, und die Ausgänge aus den einzelnen Abschnitten waren durch Kunststoffvorhänge gegen Wind geschützt.

„Wir halten alle Ponys oder Pferde einer Rasse zusammen, lediglich die Hengste machen einige Schwierigkeiten. Du weißt ja vermutlich, dass Hengste richtige Streitpferde sein können, wenn sie untereinander sind. Die Wallache und Stuten hingegen sind alle hier oder eben draußen auf ihrem Abschnitt der Weide zu finden.“

Ich sah über die niedrige Holzwand hinweg in die Halle und sah einige der Pferde. Insgesamt beherbergte dieser Pensions- und Reitstall fünf verschiedenen Ponyrassen, aber ich wollte mir nun nicht anmaßen, diese auseinander zu halten. Einzig meine Lieblinge, die Isländer waren leicht zu erkennen. Zumindest für mich.

Claudia führte mich durch die Halle und trat auf eine der Türen zu, die in die Abschnitte führten. Aufgeregt folgte ich Ihr, mein Herz klopfte bis zum Hals. Auch wenn ich das unangenehme Gefühl hatte, dass sie mich durchschaut hatte, so fühlte ich auch, dass das nicht schlimm war. Ich konnte es nicht erklären, aber ich vertraute ihr irgendwie.

Als wir den Abschnitt der Islandpferde betraten wurden wir neugierig gemustert. Das eine oder andere Pferdchen näherte sich uns, schnupperte an mir. Ich genoss das Gefühl der zarten Nüstern auf meiner Haut und die warme Luft, welche die kleinen Härchen auf meinem Arm umspielte. Ich ging zu jedem einzelnen Pferd und sah es mir genau an, berührte es, sah ihm in die Augen, steckte die Nase in sein Fell. Claudia sah mir geduldig wenn auch leicht amüsiert zu und zeigte mir zwischendurch die Pferde, die nicht verkäuflich waren.

Enttäuscht musste ich feststellen, dass ich hier drinnen auch nicht fündig wurde. Also gingen wir hinaus auf die Weide, wo die Pferde ebenfalls neugierig auf uns zukamen. Nur eines blieb ein wenig abseits und sah uns entgegen, doch ich achtete noch nicht darauf. Erst einmal suchte ich wieder unter den anderen Pferden nach meiner großen Liebe, die ich noch nie gesehen aber stets vermisst hatte. Doch auch unter diesen Pferden fand ich sie nicht. Enttäuscht hob ich den Kopf um nach dem letzten Pferd zu sehen, aber es war nicht da. Verwirrt sah ich Claudia an, und sie deutet mit einem breiten Grinsen hinter mich. Als ich mich umdrehte bemerkte ich, dass mich jemand an der Jacke festhielt. Ein Blick über die Schulter traf auf ein paar kluger Pferdeaugen, wanderte den Nasenrücken entlang nach unten und blieb an den Lippen hängen, die fröhlich auf meiner Jacke herumkauten. Ich wirbelte herum um dem Pferd die Jacke zu entreißen, woraufhin es erschrocken einen Schritt zurück machte und den Kopf hob. Als sich unsere Blicke das zweite Mal trafen, als sie so vor mir stand mit erhobenem Kopf und mich ansah dachte ich an gar nichts mehr. Ich weiß nicht einmal, ob mein Herz schlug.

Wie lange wir da standen und uns ansahen weiß ich nicht. Ich war gelähmt, verhext, verzaubert. Ich war gefesselt und geknebelt... und ich war am Ziel. Diese Augen waren es, die sich tief in mein Herz gruben, dieses hübsche Gesicht war es, welches sich in meinen Gedanken festsetzte, dieser Geruch war es, der sich in meiner Nase einnistete. Für einen unendlich langen und doch so erschreckend kurzen Moment bestand die Welt nur noch aus uns beiden, alles andere war unwichtig. Ich spürte eine feurige Liebe, eine Zuneigung in einer Intensität die mein Blut verbrennen ließ und jedes Neuron in mir mit flüssigem Feuer zu füllen schien. Ich fühlte mich unbesiegbar, ich fühlte mich jeder Herausforderung gewachsen, ich fühlte mich stark. Und ich fühlte, dass meine Suche ein Ende hatte.

Mühsam kehrte ich in das Hier und Jetzt zurück, als das Pferd seinen Kopf wieder senkte und seine Nüstern in meinen Bauch drückte. Dumpf klang Claudias Stimme in meinem Kopf. „Das ist Drifa, unsere jüngste Stute hier. Sie ist gerade mal drei, und mit dem Reiten würde ich an Deiner Stelle noch mindestens drei Jahre warten. Also wenn Du ein Reitpferd suchst würde ich Dir abraten, sie zu nehmen.“

Meine Augen verschlangen die Schimmelstute, die da vor mir stand förmlich. Die dichte, weiße Mähne die fast bis zu den Schultern herunterhing, der Kopf mit dem offenen, zauberhaften Gesicht, die schwarzen, fast handlangen Kinnbarthaare und die Schimmelzeichnung, die an den Hinterläufen dunkelgrau war und zur Brust hin immer heller wurde. Der silbrige, buschige Schweif hing bereits nur wenige Handbreit über der Erde und war schon für sich gesehen ein Prachtstück. Dieses Pferd war einfach eine Augenweide, dieses Pferd war meine Bestimmung, auf diesem Pferd stand mein Name. Zärtlich strichen meine Finger über Ihr weiches Fell, knapp unterhalb des Mähnenkamms den Hals entlang. Kraulend verharrten meine Fingerkuppen hinter den Ohren und ich spürte, wie sich Entspannung in dem Pferd breit machte, wie es meine Berührung genoss. Immer und immer wieder streichelte ich über ihren Körper, massierte ihre Schultern, ihre Beine, ihren Rücken.

„Dann werde ich eben warten.“ Meinte ich verträumt auf Claudias Frage. „Es ist egal, kann ich eben nicht reiten. Hauptsache, sie ist bei mir.“

Ich konnte Claudias Lächeln schon körperlich spüren, und ich wusste nun endgültig, dass ich durchschaut war. Aber es war egal. Sie wusste nun vermutlich Bescheid, aber das schien Ihr nichts auszumachen. „Nun gut, ich werde Euch zwei dann mal allein lassen, damit ihr euch besser kennen lernen könnt. Wenn Du hier fertig bist findest Du mich im Verwaltungsgebäude, ich sammele schon einmal die Papiere zusammen.“

„Möchtest Du mir nicht erst den Preis nennen?“ fragte ich. Ein Blick in ihre Augen zeigte mir, dass sie um meine Gefühle und meine Träume Bescheid wusste. Vielleicht sogar besser, als ich mir vorstellen konnte.

„Ich weiß, wie Du Dich fühlst. Und deshalb glaube ich nicht, dass der Preis für Dich noch wirklich interessant ist, oder?“

Und sie hatte recht. Es war mir gleich, wie viel Drifa kosten würde. Es zählte nicht, es war unwichtig. Alles, was wichtig war, dass war ihre Anwesenheit. Sie musste einfach mit mir kommen, ich würde nicht ohne sie hier weg gehen. Als Claudia weg war blieben wir noch lange beieinander, und nach einer kleinen Weile spürte ich, wie sie mich ansah, und mit sanften Bewegungen der Oberlippe meinen Bauch kraulte. Tränen des Glücks standen mir in den Augen. Ich hatte meine große Liebe gefunden, und ich habe meine Entscheidung bis heute nicht bereut. Drifa erfüllt mein Leben mit allem, was ich mir gewünscht habe, es ist als ob sie schon immer da gewesen ist, und immer hier sein wird. Und ich weiß, dass ich nie wieder ohne sie sein will.