Zuneigung

von Isländer


Sie sagten zu mir, ich wäre abartig. Sie sagten, ich wäre gestört. Sie sagten, ich solle mir helfen lassen...

Wie wenig sie doch wussten. Wie klein Ihr Geist doch war und wie beschränkt Ihr Horizont. Es war nicht so, dass sie nicht verstehen konnten, nein, das war es nicht. Sie wollten nicht verstehen. Sie wollte nicht begreifen, wollten sich nicht erklären lassen. Sie wollten nichts Neues lernen sondern Altes bestätigt wissen.

Doch nicht mit mir. Mich kriegen sie nicht. Hört Ihr? IHR KRIEGT MICH NICHT!!

Jahrelang stets geduckt, jahrelang immer unterdrückt. Jahrelang versteckt, Jahre voller Angst, voller Furcht und so voller Hass. Doch die Zeiten ändern sich. Ich änderte mich. Heute trage ich meinen Kopf höher als damals, heute stehe ich sehr viel mehr zu dem, was ich bin. Auch wenn meine Gefühle nicht immer so klar sind, wie ich es gerne hätte.

Doch manchmal wiederum sind diese Gefühle so sicher, so unumstößlich, so unwiderlegbar dass ich mir sicher bin, dass Richtige zu tun.

Letzten Samstag war ich wieder einmal auf dem Hügel... auf dem “Isi-Hügel” wie ich ihn schon einmal nenne, weil dort sehr viele Pferde stehen, die meisten von Ihnen Islandpferde. Lange schon hatte ich Dafri nicht mehr gesehen, meine Flamme in der Reitschule. Mit seiner roten Mähne und rotbraunem Fell hat er diese Bezeichnung auch wie kein anderer verdient. Seine klugen braunen Augen die aus dem sanften aber doch männlichen Gesicht blicken, seine Mähne, die an der Stirn einem weichen, wolligen Wasserfall gleich bis fast in die Augen ragt... all dies sind Merkmale von ihm, die mein Herz im Sturm eroberten. Auch sein Körper, der winterfellige Körper, nicht zu groß, nicht zu klein, kräftig gebaut aber nicht dick... auch sein Körper ist ein Anblick, an dem ich mich nicht satt sehen kann.

An diesem Samstag traf ich meine Reitlehrerin, wie sie die Pferde gerade zum Reitplatz brachte. Vier waren es, denn in der einen oder anderen Stunde kommen nun mal auch bis zu vier Schüler. Doch in der ersten Stunde sind es nur zwei, und so haben Dafri und Fáni noch ein wenig Pause... zwei kleine Mädchen, die außer mir noch da sind, dürfen absatteln und putzen, und ich darf mit meinem Besucher die beiden Pferde ein wenig knuddeln. Und dann die Finger in Dafris Fell vergraben, den dichten Pelz spüren, die Wärme, die darin nistet. Der Geruch von Pferd und auch ein wenig der von Erde steigt auf, als ich zärtlich kraulend und massierend mit den Fingerspitzen hindurchfahre.

Ich weiß, dass mich die eine oder andere Dame aus der Reitschule leicht amüsiert beobachten mag, wie ich da stehe. Immer wieder mit den Händen über sein Fell streichle, ihn massiere, ihn verwöhne. Dabei ein seliges Lächeln und dieser verliebte Ausdruck in den Augen... aber es ist mir egal. Dafri ist wichtiger als das, was andere von mir halten mögen.

Er schließt die Augen halb und seine Ohren sinken nach unten. Sein Hals, an dem ich gerade sanft kratze und kraule wird länger, das ganze Pferd ist ein Bild der Entspannung. Er trägt keinen Sattel, steht quasi nackt am Anbindebalken und genießt offenbar meine Zuwendungen. Ich streichle ihn überall, verwöhne auch seinen Bauch mit Zärtlichkeiten, so dass sein Oberlippe bereits vor Wonne zu zucken beginnt. Minutenlang stehe ich so da, jedes bisschen Liebe, jedes bisschen Zuneigung was ich zu diesem Pferd empfinde lege ich in meine Bewegungen, ich will dass er spürt, was ich fühle. Nach einer Weile bin ich wieder an der Schulter angelangt und massiere ihm liebevoll Brust und Schulter, als er seinen Kopf zu mir dreht und mich ansieht. Es ist ein außergewöhnlicher Blick, ein Ausdruck auf seinem Gesicht, den ich vorher noch nicht gesehen habe. Er sieht auf eine schwer zu bestimmende Weise glücklich aus... und er scheint tatsächlich zu spüren, welche Gefühle ich mit ihm verbinde. Soweit seine Zügel es zulassen legt er seinen Hals um mich und lässt sich dort gern verwöhnen, während ich mit der anderen Hand durch seine dichte, rote Mähne fahre. Ich spüre, wie er sich revanchieren möchte, wie er nun seinerseits beginnt, meine Beine mit seiner Oberlippe zu kraulen, wie er etwas von der Zärtlichkeit wiedergeben möchte, die er gerade erfährt. Es ist ein schönes Gefühl, wie seine Lippe kreisend über meinen Hosenbeine wandert. Kräftig, aber doch zärtlich. Wie eine Massage, die man von einem geliebten Menschen erhält, so hat auch diese Massage von Dafri etwas ungemein wohltuendes... etwas entspannendes.

Ich kann kaum einen klaren Gedanken fassen, will auch nicht klar denken können. Alles, was in meinem Geist noch Platz hat ist dieses Pferd, dieses ungemein weiche, warme und zärtliche Pferd, welches mein Herz erbeben und meine Finger zittern lässt. Ich schließe meine Augen, lege mich quer über seinen Rücken und vergrabe meine Nase in seinem Fell. Minutenlang bleibe ich so liegen, kraule, streichle, atme diesen herrlichen Pferdegeruch ein, lasse ihn meine ganze Wahrnehmung ausfüllen. Ich beginne ebenfalls mit meinen Lippen und meinen Zähnen sein Fell zu kraulen, nur ganz leicht, ganz behutsam.

Ich denke nichts, ich fühle nur. Ich bin umgeben von Glück, von absoluter Harmonie, und ich sauge sie ein, in tiefen, sehnsüchtigen Zügen. Ein vollkommen perfekter Moment, ein Moment des Friedens, ein Moment der Besinnlichkeit. Endlich einmal ist es ruhig in mir, endlich einmal ist mein Geist frei von de Belastung, die ihn jeden Tag so fest umklammert hält. Frei, frei wie ein Vogel schwingt sich mein Ich auf den Gefühlen zu Dafri empor, erreicht ungeahnte Höhen, greift nach den Sternen. Die Welt liegt mir in diesen Momenten zu Füßen, nicht bedeutender als ein Spielzeug, dessen man überdrüssig ist. Getragen von dem Glück, welches dieses Pferd ausstrahlt löse ich mich von allem, was mich einengt, schöpfe neuen Mut, lade meine ausgelaugten Batterien wieder auf, habe endlich wieder das Herz voll Freude.

Es sind nur wenige Minuten, vielleicht eine halbe Stunde in denen ich so daliege, Dafri verwöhne und gleichzeitig genieße. Doch diese wenigen Minuten des Glücks wiegen Hunderte und Tausende Stunden der Beklemmung, der Traurigkeit wieder auf. So lange bin ich ohne Pferde ausgekommen, doch nun bin ich süchtig nach ihnen. Süchtig nach ihrer Nähe, ihrem Geruch, süchtig nach dem Wunsch, ihr Freund und Partner sein zu wollen, süchtig danach, mein Glück zu finden, indem ich sie glücklich mache.

Mühsam löse ich mich von ihm, habe ja leider nicht viel Zeit und einen Gast, um den ich mich zu kümmern habe. Noch trunken von den letzten Minuten verabschiede ich mich mit einem zärtlichen Kuss auf Dafris Stirn und ein letztes zärtliches Streicheln über seine Nüstern. Glücklich lächelnd winke ich der Reitlehrerin noch einmal zu und ziehe weiter.

Weiter in einen Tag, dessen Sonne auf einmal sehr viel wärmer, und dessen Luft sehr viel frischer ist als vorher.